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Hirngerechtes Lernen

Gastbeitrag von Neurobiologe Dr. Bernd Hufnagl

Das menschliche Gehirn lernt immer – auch wenn man es bei manchen Mitmenschen nicht glauben kann, es ist ein permanenter und unaufhaltsamer Prozess. Die entscheidende Frage ist dabei aber immer: Was lernen wir eigentlich. Und so einfach ist die Antwort gar nicht, da auch im feinsten und durchdachtesten Lernsetting nicht jeder Lernende dasselbe lernt.

Im persönlichen Lernverhalten sind Motive, Aufmerksamkeit und Veränderungsbereitschaft eng miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig. Ohne persönliche Betroffenheit entsteht kein Lernmotiv! Lern- und Veränderungsbereitschaft entsteht, wie die ihr zu­grunde liegenden Motive, entweder aus innerem Antrieb oder wird von außen motiviert oder sogar erzwungen. Dabei sind Angst und akuter Stress die biologisch stärksten Motive. Die Bereit­schaft zu lernen, dabei seine Lebensgewohnheiten zu verändern, ist nach einer Krebsdiagnose ungleich größer als nach dem Betrachten einer Gesundheitssendung im Fernsehen. Aus dem allgemeinen und neutralen Bewusstsein, dass ein gesunder Lebensstil empfehlenswert ist, entsteht erst nach der erschütternden Diagnose ein Problembewusstsein, ein Ich-Bezug: Uns wird plötzlich klar, dass es hier nicht nur um eine allgemeine Empfehlung geht, sondern es uns selbst betrifft. Allerdings wirkt Angst nicht nachhaltig und ist als „Lernhilfe“ nicht empfehlenswert, da Panikmache massive Nebenwirkungen zeigt. Durch Angst lernen wir vor allem, den oder die Verursacher zu meiden. Das kann auch der Überbringer schlechter Nachrichten sein. Manche Lehrer und Führungskräfte sollten das Problem kennen.

Sind Sie eigentlich immer aufmerksam, oder ist Ihnen das Folgende schon einmal passiert? Sie lesen zehn Mi­nuten lang in einem Buch und bemerken plötzlich, dass Sie nicht die geringste Ahnung haben, was Sie gerade gelesen haben? Ich bin mir fast sicher. Executive reading nennt man es stolz, wenn das Gehirn täglich unzählige Dokumente und E-Mails in beeindruckender Geschwindigkeit geistig scannt. Dabei glauben wir fest daran, alles Wesentliche auch verstanden zu haben. Mag sein. Aber immer mehr Men­schen ertappen sich leider auch bei folgen­dem Phänomen: Ein Kollege, Kunde oder Trainer spricht mit uns, und mittendrin denken wir bereits an etwas völlig anderes. Denn wir sind inzwischen innerlich bereits einen Schritt weiter und tun nur so, als ob wir noch zuhören. Executive listening nennt man die Fähigkeit, sofort zu „wissen“, also zu antizipieren, was gleich gesagt werden wird. Vorschnell gefällte Urteile, die unserer Lebenserfahrung entspringen, ma­chen das möglich. Geduldig und aufmerksam zuzuhören und sein Gegenüber wirklich verstehen zu wollen, ist aber etwas ganz anderes und ist die Grundvoraussetzung für Lernen. Wenn bei manchen Menschen die Aufmerksamkeitsspanne bereits der einer Stubenfliege gleicht, wird zielgerichtetes Lernen unmöglich.

Ein ideales Lernsetting (und im Übrigen gilt das auch für ein Verkaufsgespräch) hat zwei wesentliche Rahmenbedingungen für Erfolg sicherzustellen: das Vorhandensein eines Problembewusstseins und die Forderung und Förderung der Aufmerksamkeit. Sind beide, wie nicht selten in der Erwachsenenbildung, nicht, oder nur eingeschränkt vorhanden, müssen sie unbedingt erzeugt werden. Und natürlich sollte erwähnt werden, was heute ohnehin jeder weiß: Eine nachhaltige Änderung von Gewohnheitsmustern geschieht ausschließlich durch wiederholte Anwendung von neu Gelerntem. Dabei scheitern die allermeisten, weil viele durch Informationsflut und das tägliche Multitasking dafür zu ungeduldig geworden sind.

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